Review: Intermec 6651


Schon wieder ein Review zu so einer alten Möhre? Ja, durchaus. Erstens stand mir erst jetzt ein Testgerät zur Verfügung. Zweitens tut sich auf dem Markt derzeit einfach nichts - lieber einen schon etwas älteren Handheld testen als gar keinen, oder? Drittens verdient es der Intermec 6651 auch nach einem halben Jahrzehnt noch, das eine oder andere Wort über ihn zu verlieren, so außergewöhnlich war dieser Mini-Computer seinerzeit. Viertens durfte ich das Gerät auf der CeBIT 2000 bestaunen und konnte mich damals kaum davon los reißen. Nur als ein Messe-Repräsentant von Sharp mir dann den geplanten Verkaufspreis nannte, ließ meine Begeisterung schlagartig nach.

Eigentlich ist der Intermec nämlich ein Sharp. 1999 stellte Sharp den Telios VJ1C der japanischen Kundschaft vor, die das Gerät so enthusiastisch aufnahm, daß wenig später die internationalisierte Version Telios 7000 folgte. Für den nordamerikanischen Markt gewann Sharp die Firma Intermec als Kooperationspartner, renommierter Hersteller und Distributor von Industrie-Handhelds. Wer heute auf dem Gebrauchtmarkt nach einem dieser Geräte sucht, findet in erster Linie die Intermec-Version mit der Typenbezeichnung 6651. Offenbar verkauften sich die Intermecs in deutlich größeren Stückzahlen als die originalen Sharps, zumindest auf dem US-amerikanischen und europäischen Markt.


Schick und praktisch gleichermaßen: der Intermec 6651.

Gleich unter welchem Label, der Telios/ Intermec 6651 startete zunächst mit dem Betriebssystem HPC 2.11/pro. Erst ein knappes Jahr nach Markteinführung kam die software-seitig aufgebohrte Version mit HPC 2000 in die Läden. Bestandskunden wurde der Austausch des ROM-Chip offeriert, den die meisten wohl tatsächlich beim Hersteller anforderten. Die überwiegende Zahl der gebraucht angebotenen Geräte jedenfalls läuft unter HPC 2000.

Bemerkenswert genug, daß ein eigentlich für HPC 2.11/pro konzipiertes Gerät genügend Leistungsreserven mitbringt für die Nachfolgegeneration des Betriebssystems. Mit 129MHz ist die Toshiba TX3922 CPU nominell auch wirklich am unteren Ende des Leistungsspektrums angesiedelt, das sich bei HPC 2000 Geräten findet. Tatsächlich aber schlägt sich der Toshiba-Chip im Benchmark ganz achtbar, hängt auch deutlich höher getaktete MIPS-Verwandte aus dem Hause NEC locker ab. Respekt.

Die übrige Basis-Hardware ist typisch für diese Gerätegeneration: 32 MB Arbeitsspeicher, ein PCMCIA Typ II Slot, ein CompactFlash Typ II Kartensteckplatz, ein internes 56k Modem, ein serieller und ein Infrarot-Port. Außergewöhnlich für die Zeit war der USB Typ-A Host Port zum Anschluß von Peripheriegeräten. Allzu groß war und ist die Auswahl an Treibern nicht. HPC 2.11/pro wie auch 2000 bringen selbst nur die notwendigen Routinen zum Betrieb einer Maus mit. Immerhin lassen sich mit nachgerüstetem NEC Clik!-Treiber gängige USB-Massenspeicher am Telios/Intermec benutzen - einigermaßen zumindest. Mein Testgerät neigt zum Einfrieren, wenn der USB-Massenspeicher nach Benutzung wieder getrennt wird, nur mit einem Softreset läßt sich dann dem Handheld wieder Leben einhauchen.

Außergewöhnlich, eigentlich geradezu sensationell ist ein anderes Ausstattungs-Feature: das Display. Ein kristallklares, gestochen scharfes, herrlich gleichmäßig und hell ausgeleuchtetes TFT-Panel mit 800x480 Bildpunkten Auflösung hat Sharp dem Telios 7000 spendiert. Im Jahre 1999, wohlgemerkt! Zu der Zeit waren kontrastarme, reaktionslahme STN-Displays noch "state of the art" bei den meisten Herstellern, insbesondere bei den beiden Marktführern HP und NEC. TFT-Panels seien zu teuer, hieß es. Zugegeben, billig waren weder der Sharp Telios noch der Intermec seinerzeit. Aber billig waren auch die Jornadas und MobilePros mit ihren scheinbar so kostengünstigen STN-Bildschirmen nicht gerade. TFT-Panels brauchten zuviel Strom, hieß es. Stimmt, der Mehrverbrauch ist signifikant. Allerdings ist das Display des Telios/ Intermec so brillant, daß sich die Hintergrundbeleuchtung meistenteils ohne Komforteinbußen auf 25% herunterregeln läßt (per Tastatur-Shortcut übrigens, wahlweise auch über Hardicons rechts neben dem Screen), was selbst auf meinem gebrauchten Testgerät mit sechs Jahre altem Original-Akku noch fast sieben Stunden Dauerbetrieb ermöglicht.

Auf Wunsch läßt sich der Telios/ Intermec auch mit umgeklapptem Display als Tablet-Rechner benutzen. Anders als beim etwa gleich alten Vadem Clio wird dies aber nicht über eine ausgefeilte, recht aufwendige Scharnierhebel-Konstruktion mit frei schwingendem Display ermöglicht. Anders auch als bei den aktuelleren Linux-PDAs vom Typ Zaurus aus dem Hause Sharp oder beim Tastatur-Smartphone HTC Universal/ MDA pro gibt es keine zweite Drehachse im Scharnier. Beim Telios/ Intermec läßt sich schlicht das Gehäuse um 360 Grad komplett aufklappen - zwar die simpelste, aber meiner Meinung nach auch schlechteste der drei Lösungen. Wird nämlich der Telios/ Intermec zum Tablet "gefaltet", liegt nicht nur das Display offen, sondern auch die Tastatur. Damit nun der Anwender nicht ständig aus Versehen irgendwelche Tasten drückt, läßt sich zum einen das Keyboard über ein Systray Icon sperren, zum anderen liegt dem Gerät ein Behelfsdeckel bei, der im Tablet-Betrieb schützend über die Tastatur geschoben werden soll. Mir ehrlich gestanden zu umständlich.
Im Tablet-Betrieb läßt sich die Bildschirmdarstellung um 180 Grad drehen. Ein Kippen der Darstellung um 90 Grad, wie bei Tablet-Rechnern eigentlich üblich, um das Gerät hochkant bequemer halten zu können, ist nicht möglich.

Die Tastatur vermittelt ein ausgesprochen angenehmes Schreibgefühl. Der Intermec 6651 wurde für den nordamerikanischen Markt gebaut, entsprechend folgt das Layout dem QWERTY-Schema. Deutsche Umlaute lassen sich recht komfortabel eingeben, wenn man Wolfgang Rolkes kleines Freeware-Tool Hotkeys installiert. Die oberste Tastenreihe ist mit Schnellstart-Keys für die im ROM installierten Programme belegt. Die Programmverknüpfungen lassen sich nicht ändern - schade.

Rechts neben dem Display finden sich zehn Hardicons, die insbesondere im Tablet-Betrieb äußerst nützlich sind. Auch die Belegung der Hardicons läßt sich vom Anwender nicht manipulieren mit Ausnahme von zwei "User Icons", denen über die Systemsteuerung beliebige Programme zugeordnet werden können.


Die ins Gehäusescharnier integrierte Kamera ermöglicht Video- und Standbildaufnahmen in QVGA-Auf-
lösung. Die mitgelieferte Software bietet wenig mehr als Basisfunktionen.

Erwähnenswert ist noch ein weiteres Hardware-Gimmick, nämlich die ins Gehäusescharnier integrierte QVGA-Kamera. Damit lassen sich Stand- wie Bewegtbilder in einer Auflösung von 320x240 Bildpunkten aufnehmen, in Verbindung mit einem WAN- oder LAN-Anschluß sogar Videotelefonate führen über z.B. die Software MS Portrait. Zuviel erwarten sollte man sich nicht von dieser Kamera. Linse und Chip sind alles andere als lichtstark, die resultierenden Bilder sind weder besonders scharf, noch kontrastreich, noch farbenfroh, zudem weitwinkel-typisch verzerrt. Abgesehen von der Auflösung hat sich da aber wenig getan seither, das Gesagte gilt mehr oder minder durch die Bank auch noch für die inzwischen allgegenwärtigen Kamera-Handys. Und offenbar reicht deren Bildqualität den meisten Anwendern ja. Insofern dürften sich viele Käufer tatsächlich über die integrierte Kamera des Telios/ Intermec freuen. Ich finde für mich keinen sinnvollen Anwendungsfall, ebensowenig für die integrierten Fotoapparate aktueller Mobiltelefone.

Tatsächlich bringt das Vorhandensein der Kamera beim Telios/ Intermec sogar Nachteile. Das Kameramodul ist nämlich nicht nur ins Gehäusescharnier integriert, vielmehr ersetzt das Modul das Scharnier komplett. Der Gehäusedeckel mit dem Display und der Gehäuseboden mit Tastatur, Hauptplatine und Kartensteckplätzen sind nur über das Kameramodul miteinander verbunden, die beiden unabhängig klappbaren Scharniere haben keine Rastung. Wirklich paßgenau läßt sich das Gerät auf diese Art nicht zuklappen mit dem Effekt, daß die Kunststoffschließe nicht immer sauber sitzt.

Zweite Nebenwirkung des integrierten Kameramoduls: Für den Haupt-Akku ist auf der Gehäuserückseite kein Platz, er ist beim Telios/ Intermec nach vorne gewandert unter bzw. in die Handballenauflage vor der Tastatur. Der Akku macht knapp die Hälfte des Gesamtgewichts aus, entsprechend ungewohnt fühlt sich zumindest für mich der Telios/ Intermec an wegen des verschobenen Schwerpunkts.

Ob es an der exotischen Plazierung des Akku liegt oder vielleicht auch schlicht am fortgeschrittenen Alter meines gebraucht gekauften Gerätes aus x-ter Hand, ich weiß es nicht. Jedenfalls knarzt das Gehäuse vernehmlich. Und nicht nur das, es fühlt sich auch nicht wirklich vertrauenserweckend solide an. Ich behandle meine Handhelds an sich schon ausgesprochen sorgsam, aber beim Hantieren mit dem Intermec lasse ich unwillkürlich besondere Vorsicht walten. Womöglich liegt das auch daran, daß das Gehäuse derart viele Furchen, Kanten, Ein- und Ausbuchtungen aufweist, in denen sich nicht sonderlich geschickt fragile Schnittstellen, Karten-Slots, Tasten und Knöpfe verbergen. In dieser Hinsicht ist der Sharp/ Intermec wahrlich kein Design-Glanzstück. Leider.


Sonderlich geschickt sind Anschlüsse und Karten-Slots nicht untergebracht.

Abgesehen davon kann ich an der Hardware nicht mäkeln. An der Software genauso wenig, um's gleich vorweg zu nehmen. Handhelds dieser Generation sind allein schon durch Microsofts Beigaben zum Betriebssystem sehr gut ausgestattet mit produktiv nutzbaren Programmen: Eine komplette Office-Suite mit Pocket Word, Pocket Excel, Pocket Access und einem Powerpoint Viewer, dazu Pocket Outlook zur Verwaltung von Kontakten, Terminen und Aufgaben.

Sharp und Intermec haben dem Gerät darüber hinaus eine ganze Reihe zusätzlicher interessanter, teils auch essentieller Anwendungen spendiert. Eine sehr brauchbare Backup-Lösung zum Beispiel, die zuverlässiges Sichern auf und Wiederherstellen von Speicherkarte ermöglicht; das Tool erlaubt allerdings nur Komplett-Backups, keine inkrementelle Sicherung. Äußerst nützlich auch ist ein kleiner, aber feiner Hack in der Systemsteuerung, der auf Wunsch den CompactFlash-Slot fix als "Storage Card2" anspricht - unter HPC 2000 wechselt normalerweise nach einem Softreset die Bezeichnung je nach Akku- oder Netzbetrieb mit dem Effekt, daß auf Speicherkarte installierte Anwendungen nicht mehr sauber funktionieren. Den Benutzerkomfort steigern soll ein frei konfigurierbarer Launcher, der einem der Hardicons am rechten Display-Rand zugeordnet ist. Gleiches gilt für das Tool "Simple Internet Connection", mit dem sich verschiedene Internet-Zugangsprofile bequemer verwalten lassen als mit Bordmitteln. Nicht unpraktisch ist auch der "PC File Viewer", im Prinzip ein Datei-Browser mit Schnellansicht, die mit vielen gängigen Dateiformaten ganz gut zurecht kommt. Bearbeiten kann man Dokumente damit zwar nicht, immerhin aber zum Beispiel nach Schlüsselwörtern durchsuchen oder passagenweise in die Zwischenablage kopieren und in anderen Programmen weiterverwenden.


Ein komfortables Control ermöglicht das Festlegen der Speicherkartennummerierung.

Speziell für den Tablet-Betrieb gedacht ist der mitgelieferte InkWriter. Damit lassen sich Skizzen und handschriftliche Notizen erfassen, dank eingebauter Zeichenerkennung auch gleich in per Tastatur editierbaren Text umwandeln. Speziell für die integrierte Kamera wiederum gibt es eine recht einfach gestrickte Videorecording Software. Aufgezeichnet werden Bewegtbilder in MPEG4-codierten ASF-Files. Nachbearbeiten, schneiden oder in andere Formate konvertieren lassen sich Videos nicht. Zur Verwaltung von Video-Dateien steht "Movie Album" zur Verfügung, für die Wiedergabe gibt es einen eigenen kleinen Player. Standbilder und Fotos schließlich können mit dem "Image Editor" nachbearbeitet werden. Zwar stehen in dem kleinen Programm nur rudimentäre Werkzeuge zur Auswahl, immerhin aber auch eine ganz passabel arbeitende Autokorrektur für Kontrast, Helligkeit und Graduation, um ein unterwegs aufgenommenes Bild in wenigstens halbwegs brauchbarer Qualität mal schnell per Mail zu verschicken.


Der Image Editor ist eines der Sahnestücke in Sharps Software-Beigaben.

Alles in allem ist der Intermec 6651 - oder auch der originale Sharp Telios 7000, falls man einen findet - eine ausgezeichnete Wahl beim Gebrauchtkauf. Der Handheld erfreut sich allerdings noch immer großer Beliebtheit, zahlreiche Fans rund um den Erdball scheinen Zweit- und Drittreservegeräte geradezu zu horten. Entsprechend hoch sind üblicherweise die bei Online-Auktionen erzielten Preise, jedenfalls bei gut erhaltenen Stücken mit vollständigem Originalzubehör. Besonders achten sollte man auf die Achillesferse des Intermec, nämlich das Display-Kabel. Die Adern für den Touchscreen scheinen mit den Jahren zu brechen. Effekt ist, daß der Touchscreen nicht mehr ganz einwandfrei funktioniert. Auf kurze Berührungen reagiert der Touchscreen noch wie erwartet, Drag&Drop, Zeichnen und Handschrifteneingabe allerdings sind nicht mehr möglich. Nicht nur bei meinem Gerät ist das der Fall, in einschlägigen Internet-Foren und Newsgroups tauchen immer wieder solche Meldungen auf. Gezieltes Nachfragen beim Verkäufer ist deshalb ratsam.

Jürgen Rothberger
Mai 2006


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